10. Mai 2022
Aktuelle BAG-Entscheidung: Überstundenklage – Es bleibt alles beim Alten!

Das BAG hat sich in seinem Urteil vom 4. Mai 2022 (Aktenzeichen: 5 AZR 359/21) zu den prozessualen Auswirkungen der EuGH-Entscheidung vom 14. Mai 2019 (Aktenzeichen: C-55/18) im Überstundenprozess geäußert. Bisher liegt allerdings nur die Pressemitteilung vor. Die Veröffentlichung der vollständigen Entscheidungsgründe wird noch etwas länger dauern. 

Der Fall

Der Entscheidung des BAG lag die Klage eines Auslieferungsfahrers zugrunde, der für ein Einzelhandelsunternehmen tätig war. Der Kläger erfasste seine Arbeitszeit in einem Zeiterfassungssystem. Hierbei wurden allerdings nur Beginn und Ende aufgezeichnet. Etwaige Pausenzeiten wurden nicht erfasst. Als das Arbeitsverhältnis dann sein Ende fand, wies das Zeiterfassungssystem ein Plus von über 300 Stunden zugunsten des Klägers auf. Die Bezahlung dieser Stunden machte der Fahrer klagweise geltend. Er führte aus, dass es sich bei allen erfassten Stunden um Arbeitszeiten gehandelt habe. Pausen habe er nicht nehmen können, da er ansonsten seine Auslieferungsaufträge nicht hätte abarbeiten können. Seine ehemalige Arbeitgeberin hat diese Darstellung bestritten.

Der Hintergrund

Das BAG hat in ständiger Rechtsprechung folgende Grundsätze für die Verteilung der sogenannten Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess aufgestellt. In einem ersten Schritt muss der klagende Mitarbeiter darlegen, dass von ihm Arbeit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet wurde oder er sich auf Anweisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Ferner muss der Mitarbeiter in einem zweiten Schritt – da der Arbeitgeber nur für von ihm veranlasste Überstunden vergütungspflichtig ist – vortragen, dass der Arbeitgeber die Überstunden ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt habe. Hat der klagende Mitarbeiter diese Hürden genommen, ist es Sache des Arbeitgebers den Vortrag des Mitarbeiters substantiiert zu widerlegen. 

Soweit die Grundzüge der bisherigen, nicht gerade mitarbeiterfreundlichen Rechtsprechung. Nun erging allerdings am 14. Mai 2019 ein Urteil des EuGH, in welchem dieser im Kern entschied, dass sämtliche Mitgliedsstaaten Regelungen vorsehen müssten, die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, das sämtliche Arbeitszeiten der Mitarbeiter erfasst. 

Diese Entscheidung nahm das Arbeitsgericht Emden (09.11.2020 – 2 Ca 399/18 ) in dem hier vorliegenden Fall zum Anlass, die tradierte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess in Frage zu stellen. Es gab dem Kläger Recht und meinte, da die beklagte Arbeitgeberin es unterlassen habe, ein solches Zeiterfassungssystem vorzuhalten, mit welchem sie sich Kenntnis über die Überstunden habe verschaffen können, sei es in diesem Fall ausreichend, dass der Kläger die Anzahl der von ihm geleisteten Überstunden vorgetragen habe. Die beklagte Arbeitgeberin hätte dann ihrerseits konkret dazu vortragen müssen, dass und in welchem Umfang der Kläger Pausen genommen habe. Dies sein nicht in dem erforderlichen Maße erfolgt. 

Die Arbeitgeberin wehrte sich gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Emden und bekam in der Folge bei LAG Niedersachsen Recht. Dies schmeckte wiederum dem Kläger nicht und die Sache landete beim BAG.

Die Entscheidung 

Das BAG entschied nun am 4. Mai 2022, dass das LAG die Klage zu Recht abgewiesen habe und stellte sich damit gegen das Arbeitsgericht Emden. Aus der veröffentlichten Pressemitteilung ergibt sich, dass das BAG an der bisherigen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, wie sie oben zusammengefasst dargestellt wurde, weiterhin festhält. Das BAG führt aus, dass die auf Unionsrecht beruhende Verpflichtung zur Aufzeichnung der vollständigen Arbeitszeit, welche in Deutschland noch nicht gesetzlich normiert ist, allein die Aspekte der Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter, aber nicht den Aspekt der Vergütung beträfe. Daher habe die in Rede stehende EuGH-Entscheidung keine Auswirkungen auf die von den deutschen Arbeitsgerichten entwickelten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess. 

Dies ist als gute Nachricht für Arbeitgeber zu werten, weil es ansonsten wesentlich leichter für Mitarbeiter geworden wäre, angebliche Überstunden über eine Klage vergütet zu bekommen. 

Johann Moritz Leverkühn
Rechtsanwalt | Fachanwalt für Arbeitsrecht
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