Olivier Le Moal / AdobeStock
1. Juni 2021
Wenn das Betriebsgeheimnis das
Unternehmen verlässt

Das unbekannte, aber nicht mehr ganz so neue Geschäftsgeheimnisgesetz

Seit nunmehr zwei Jahren gibt es das Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG), das den unzureichenden Schutz durch die §§ 17 ff. des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) beseitigt bzw. beseitigen soll und die EU-Geschäftsgeheimnisrichtlinie 2016/943 umsetzt (Ohly, GRUR 2014; 1,4 ff.).

Auch nach dem alten Recht war es unter Strafandrohung verboten, Betriebsgeheimnisse zu verraten. Problematisch war nur, dass die Tatbestandsvoraussetzungen so eng waren, dass man sie mit ein wenig Geschick umgehen konnte. Kundenlisten durfte beispielsweise ein Vertriebsmitarbeiter „während der Geltungsdauer seines Dienstverhältnisses“ nicht an einen Mitbewerber weitergeben. Die Weitergabe dieser Kundenlisten nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen war aber nur dann strafbar, wenn hierfür zuvor eine „verkörperte Wiedergabe unbefugt“ verschafft worden war. Außendienstmitarbeiter mit extrem gutem Gedächtnis mussten sich insoweit beim (lukrativen) Wechsel zum Mitbewerber keine großen Sorgen wegen einer theoretisch möglichen Bestrafung machen. Strafrechtliche Vorschriften sind nicht analogiefähig und eng auszulegen. Auch die nach dem allgemeinen Zivilrecht unter Umständen bestehenden Unterlassungsansprüche, insbesondere §§ 823, 826 BGB, waren in der Regel nicht erfolgreich.

Das Geschäftsgeheimnisgesetz beseitigt die jahrzehntelang bestehenden gesetzlichen Unzulänglichkeiten und stellt eine Vielzahl von Eingriffsmöglichkeiten gegen illoyale Mitarbeiter und nicht ganz legal agierende Mitbewerber zur Verfügung. Hierbei liegt der Fokus auf den zivilrechtlichen Wettbewerbsansprüchen, wenngleich auch erhebliche Freiheitsstrafen möglich sind, § 23 GeschGehG.

Das scharfe Schwert: Geschäftsgeheimnisgesetz

Anspruchsberechtigt ist nach § 2 Nr. 2 GeschGehG der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses, also das Unternehmen selbst oder auch ein Lizenzinhaber. Anspruchsgegner gemäß § 2 Nr. 3 GeschGehG ist jede natürliche oder juristische Person, die ein Geschäftsgeheimnis rechtswidrig erlangt hat, nutzt oder offenlegt. § 12 GeschGehG erweitert den Kreis auch auf den Inhaber des Unternehmens, bei dem der Rechtsverletzer Beschäftigter oder Beauftragter ist.

§ 4 GeschGehG führt die verbotenen Handlungen auf, die nahezu jede denkbare Verhaltensweise des Verrats eines Geschäftsgeheimnisses umfassen. §§ 6 ff. GeschGehG ermöglicht dem Berechtigten Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung oder Herausgabe von Dokumenten, Gegenständen Materialien usw. sowie den Rückruf und die Entfernung von rechtsverletzenden Produkten aus den Vertriebswegen etc. Weiter kann der Geheimnisinhaber auch vom Rechtsverletzer umfassend Auskunft über die Lieferketten, die Menge der rechtsverletzten Produkte und auch die Daten des Verräters oder anderer Beteiligter verlangen.

Art. 2 der EU-Richtlinie definiert den Begriff des Geschäftsgeheimnisses relativ einfach, nämlich, dass es sich um eine geheime Information handelt, die einen kommerziellen Wert hat, weil sie geheim ist und die Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen ist.

Geschützt sind – etwas unscharf definiert – damit alle Informationen, die nicht völlig ohne Belang sind und die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung oder Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Fachkreisen bekannt sind. Dies ist in der Regel unproblematisch.

Die Nagelprobe: Wurde alles Erforderliche getan?

Problematisch ist aber, dass insbesondere nur die Informationen geschützt sind, die Gegenstand von „angemessener Geheimhaltung“ sind. Angemessen bedeutet hierbei nicht absolut wirksame oder unumgehbare Schutzmaßnahmen. Vielmehr ist bei der Abwägung der erforderlichen Maßnahmen der Wert des Geheimnisses, die Größe des Unternehmens, die Kosten und die Üblichkeit der Maßnahmen zu berücksichtigen (Begr. RegE, BT-Drs. 19/4724, 25; OLG Hamm, 15.9.2020, Rn. 162 – Gleisstopfmaschine). Der Geheimnisinhaber muss sich also beispielsweise Gedanken machen, wie Zugriffe auf Daten geschützt werden, wer diese Daten überhaupt sehen darf und welche strafbewehrten Verpflichtungen bestehen, diese Daten nicht weiterzugeben. Hier ist eine gewisse Unbekümmertheit in der Wirtschaft, insbesondere auch im Mittelstand, zu sehen.

Wie man es falsch machen kann, zeigt die o. g. Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm. Die österreichische Klägerin ist ein weltweit tätiges, marktführendes Unternehmen zur Herstellung von Maschinen für die Reparatur von Schienengleisen. Zwei hochrangige leitende Mitarbeiter sowie einer der Gesellschafter der Klägerin verließen das Unternehmen, nachdem sie zuvor die nunmehrige Beklagte gegründet hatten. Diese stellt nunmehr ein günstigeres und leistungsfähiges Aggregat her, das in die Maschinen der Klägerin eingebaut werden kann. Ihr Aggregat bezeichnet die Klägerin als das „Flaggschiff“. Die Beklagte konnte aber nachweisen, dass Pläne der maßgeblichen Bauteile ohne (angemessene) Geheimhaltungsvorgaben schon Jahre vor dem Ausscheiden ihrer Gesellschafter aus dem Unternehmen verfügbar waren. Unabhängig von allen weiteren rechtlichen Fragen stellte das Gericht abschließend fest, dass die Schutzmaßnahmen für das wichtigste Aggregat der Klägerin unzureichend waren und allein deshalb kein Geheimnisschutz besteht. Durch diese vermeidbare Unterlassung ist das Kerngeschäft der österreichischen Klägerin erheblich gefährdet.

Für die Praxis ist zu empfehlen, rechtzeitig – also vor einer unerwünschten Mitnahme – zu definieren, welche Geschäftsgeheimnisse im Unternehmen vorhanden sind, und zu prüfen, ob diese auch ausreichend geschützt sind. Beratung zu diesem Thema bietet unser Kooperationspartner Greenfield IP.

 

Andreas Schulte
Greenfield IP
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz Rechtsanwalt | Partner
​Telefon +49 (0) 40 357539-99
info@greenfield-ip.com