16. April 2020
Auswirkungen der Corona-Krise auf die Rechnungslegung – ein Überblick

Die Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaft sind immens und dies wird auch die Unternehmens­berichterstattung beeinflussen. In dem nachstehenden Beitrag klären wir u. a. folgende Fragen:

  • Welche Auswirkungen hat die Ausbreitung des Coronavirus auf HGB-Abschlüsse sowie Lageberichte zum 31.12.2019 und muss für den Jahresabschluss 2019 eine Nachtragsberichterstattung nach § 285 Nr. 33 bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 25 HGB erstellt werden? Wenn ja, in welchem Umfang?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich für das Geschäftsjahr 2020 bzw. für Stichtage nach dem 31.12.2019?
  • Welche besonderen Auswirkungen der Corona-Pandemie ergeben sich für den Jahresabschluss einer kleinen bzw. einer Kleinstkapitalgesellschaft?
  • Wie sind Ansprüche auf Kurzarbeitergeld oder auf gewährte Erstattungen von Sozialversicherungsbeiträgen zu bilanzieren?

Auswirkungen auf die Rechnungslegung zum Stichtag 31.12.2019

Da erst die sprunghafte Ausweitung der Infektionen zu den aktuellen wirtschaftlichen Auswirkungen geführt hat (z. B. die Schließung von Betrieben und dadurch bedingte Beeinträchtigungen von Liefer- und Absatzprozessen) und diese Ausweitung erst ab dem Januar 2020 aufgetreten ist, ist nach Auffassung des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) i.d.R. davon auszugehen, dass das Auftreten des Coronavirus als weltweite Gefahr wertbegründend einzustufen ist und dementsprechend die bilanziellen Konsequenzen (bspw. das Erfordernis zur Vornahme von außerplanmäßigen Abschreibungen oder zur Bildung von Rückstellungen) erst in Abschlüssen mit Stichtag nach dem 31.12.2019 zu berücksichtigen sind.

Eine sog. Nachtragsberichterstattung im (Konzern-)Anhang ist erforderlich, wenn ein „Vorgang von besonderer Bedeutung“ nach § 285 Nr. 33 bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 25 HGB vorliegt. In dieser Nachtragsbericht­erstattung sind Art und finanzielle Auswirkungen des Vorgangs anzugeben. Ob die Ausbreitung des Coronavirus (und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Konsequenzen) für das jeweilige Unternehmen von besonderer Bedeutung ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Eine generelle Berichtspflicht besteht nicht. Eine „Fehlanzeige“ ist nicht erforderlich. Die Notwendigkeit einer Berichterstattung hängt von der individuellen Betroffenheit des Unternehmens von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die künftige Entwicklung ab. Die Auswirkungen sind auch dahingehend zu beurteilen, ob eine wesentliche Unsicherheit im Zusammenhang mit Ereignissen oder Gegebenheiten besteht, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können („bestandsgefährdende Risiken“).

Die Frage, ob auf einen ansonsten verpflichtenden Nachtragsbericht im Anhang mit Verweis auf die Bericht­erstattung im Lagebericht verzichtet werden kann, wird im HGB nicht explizit geregelt. Somit ist grund­sätzlich der Berichterstattungspflicht sowohl im Anhang als auch im Lagebericht nachzukommen. Zur Erhöhung der Transparenz für die Adressaten – zukunftsbezogene Informationen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie gebündelt an einer zentralen Stelle – wird es im Schrifttum indes als zulässig angesehen, im Nachtragsbericht auf die Darstellungen im Lagebericht zu verweisen, falls ansonsten identische Angaben an beiden Stellen aufzunehmen wären. Der Verweis im Nachtragsbericht muss jedoch eindeutig und klar erkennbar sein.

Die Entwicklungen rund um das Coronavirus werden sich in vielen Fällen in den (Konzern-) Lageberichten für am 31.12.2019 endende Geschäftsjahre zumindest in den Risikoberichten niederschlagen. Eine Berichtspflicht im Risikobericht besteht grundsätzlich, wenn mögliche weitere Entwicklungen zu negativen Abweichungen von Prognosen oder Zielen des Unternehmens führen können, es sich dabei um ein wesentliches Einzelrisiko handelt und andernfalls kein zutreffendes Bild von der Risikolage des Unternehmens / Konzern vermittelt wird. Ebenso ist im (Konzern-) Lageberichten über bestandsgefährdende Risiken zu berichten, ggf. durch Bezugnahme auf die entsprechenden Angaben im Abschluss (Anhang).

Auswirkungen auf die Rechnungslegung für nach dem 31.12.2019 endende Berichtsperioden

Nach Auffassung des IDW ist i.d.R. davon auszugehen, dass die Verbreitung des Coronavirus als weltweite Gefahr nach dem 31.12.2019 als wertbegründend einzustufen ist und dementsprechend die bilanziellen Konsequenzen erst in Abschlüssen mit Stichtag nach dem 31.12.2019 zu berücksichtigen sind. Für Abschlüsse mit Stichtag nach dem 31.12.2019 ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass die aktuellen, nach dem Abschlussstichtag gewonnenen Erkenntnisse über die Folgen des Coronavirus bei der Bilanzierung zu berücksichtigen sind.

Bei immateriellen Vermögensgegenständen sowie Sachanlagen ist eine außerplanmäßige Abschreibung erforderlich, falls der beizulegende Wert den Buchwert voraussichtlich dauernd unterschreitet (z.B. bei Einstellung oder Einschränkung der Nutzung von Anlagen). Die allgemein verschlechterte Ertragslage der Unternehmen allein rechtfertigt keine außerplanmäßige Abschreibung. Finanzanlagen müssen nur im Falle einer voraussichtlich dauernden Wertminderung abgeschrieben werden; ist die Wertminderung voraussichtlich nicht von Dauer, besteht ein Abschreibungswahlrecht. Abschreibungen auf das Vorratsvermögen können in der aktuellen Situation vor allem aufgrund des völligen Entfalls der Veräußerungsfähigkeit, einer gesunkenen Umschlagshäufigkeit (Gängigkeitsabschläge) oder durch erhöhte Lagerkosten im Rahmen der verlustfreien Bewertung geboten sein. Bei Entfall der Gründe für eine außerplanmäßige Abschreibung ist eine spätere Wertaufholung geboten. Des Weiteren zu beachten ist, dass sog. „Leerkosten“ nicht in die Herstellungskosten einbezogen werden dürfen, sondern Aufwand der Periode darstellen, in der sie anfallen. Das (ggf. signifikant gestiegene) Risiko der Nichterfüllung (oder der nicht vollständigen oder nicht fristgerechten Erfüllung) von Forderungen aus Lieferungen oder Leistungen ist durch Vornahme von Abschreibungen auf den „beizulegenden“ Wert (Einzelwertberichtigungen) zu tragen. Sowohl mit Blick auf am Abschlussstichtag schwebende Absatz- als auch auf schwebende Beschaffungsgeschäfte kann sich durch die Corona-Pandemie zudem das Erfordernis zur Bildung von Drohverlustrückstellungen ergeben. Auf die Bilanzierung von Verbindlichkeiten dürfte sich die Corona-Pandemie nur in Ausnahmefällen (etwa im Falle einer mit einer Umschuldung bzw. Modifizierung von Darlehensparametern einhergehenden Novation) auswirken, weil sich der Erfüllungsbetrag der Verbindlichkeit durch die Auswirkungen des Coronavirus ansonsten nicht verändert.

Zur Stützung der Volkswirtschaft sind bereits umfangreiche Maßnahmen mit direkten und indirekten Hilfen für die Unternehmen umgesetzt worden. Soweit hieraus etwa direkte Ansprüche der Unternehmen entstehen, z.B. ein Anspruch auf Liquiditätshilfe oder Zuschuss gegenüber einer Behörde, sind diese erst nach einer als verbindlich zu wertenden Zusage bilanziell zu erfassen. Nicht rückzahlbare Zuschüsse, an die auch keine Bedingungen eines künftigen Verhaltens geknüpft sind, können nach deren verbindlicher Zusage unmittelbar und in voller Höhe erfolgswirksam vereinnahmt werden.

Auswirkungen für den Jahresabschluss einer kleinen bzw. Kleinstkapitalgesellschaft

Die gesetzlichen Vertreter kleiner Kapitalgesellschaften sind nicht verpflichtet, einen Lagebericht aufzustellen. Sie brauchen zudem keinen Nachtragsbericht (§ 285 Nr. 33 HGB) in den Anhang aufzunehmen. Für Kleinstkapitalgesellschaften (§ 267a Abs. 1 HGB) sind weder ein Lagebericht noch ein Anhang erforderlich. Dies gilt auch für Gesellschaften, die ihren Jahresabschluss nach den für alle Kaufleute geltenden handelsrechtlichen Vorschriften aufstellen (z.B. nicht haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften). Aufgrund der expliziten gesetzlichen Befreiungsvorschriften in Bezug auf Nachtrags- bzw. Lageberichterstattung ist (Betroffenheit in Bezug auf die Corona-Pandemie unterstellt) grundsätzlich keine entsprechende Berichterstattung erforderlich. Bestehen allerdings wesentliche Unsicherheiten, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können (sog. Bestandsgefährdende Risiken), muss der Bilanzierende darüber berichten. Kleine Kapitalgesellschaften haben eine solche Berichterstattung in den Anhang aufzunehmen. Für Kleinstgesellschaften ist die Berichterstattung z.B. unterhalb der Bilanz wiederzugeben.

Bilanzierung von Ansprüchen auf Kurzarbeitergeld oder Erstattungen von Sozialversicherungsbeiträgen

Bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen haben die Arbeitnehmer einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld gegenüber der Agentur für Arbeit. Der Arbeitgeber ist jedoch für die Zahlungsabwicklung zuständig. Er muss in Vorleistung gehen und nachträglich eine Erstattung bei der Agentur für Arbeit beantragen. Diese erlässt daraufhin einen Leistungsbescheid, auf dessen Grundlage das Kurzarbeitergeld dem Arbeitgeber erstattet wird. Somit handelt es sich bei dem Kurzarbeitergeld aus Sicht des Arbeitgebers lediglich um einen sog. durchlaufenden Posten. In der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung ist daher weder ein Aufwand noch ein Ertrag aus der Zahlungsabwicklung zu erfassen. Entsprechend den verauslagten monatlichen Zahlungen an die Arbeitnehmer ist eine Forderung gegen die Agentur für Arbeit zu aktivieren, wenn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind und der Antrag auf Erstattung bis zur Bilanzaufstellung gestellt ist bzw. innerhalb von drei Monaten gestellt werden wird.

Der Arbeitgeber hat während des Bezugs von Kurzarbeitergeld einen eigenen unmittelbaren Anspruch auf Erstattung der von ihm allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung gegenüber der Agentur für Arbeit. Handelsrechtlich handelt es sich bei dem Erstattungsanspruch um eine nicht rückzahlbare Zuwendung, die erfolgswirksam in der Gewinn- und Verlustrechnung unter den sonstigen betrieblichen Erträgen oder als Kürzung der Personalaufwendungen zu erfassen ist. Bei Zuwendungen, auf die – wie in diesem Fall – ein Rechtsanspruch besteht, erfolgt die Aktivierung des Anspruchs als Forderung, erst wenn das Unternehmen am Abschlussstichtag die sachlichen Voraussetzungen (einschließlich der Anzeige bei der Agentur für Arbeit) für die Gewährung der Zuwendung erfüllt hat und zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung der erforderliche Antrag gestellt ist oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gestellt werden wird. Wird eine nicht rückzahlbare Zuwendung ausgezahlt, bevor der Empfänger die sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt hat, so ist der empfangene Betrag bis zu seiner bestimmungsgemäßen Verwendung unter den sonstigen Verbindlichkeiten zu passivieren.

Kai Gehrt
Wirtschaftsprüfer | Steuerberater
kgehrt@dierkes-partner.de
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Simon Thering
Wirtschaftsprüfer | Steuerberater
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